Oberschüler aus Weener pflegen jüdischen Friedhof in Smarlingen.

Der jüdische Friedhof in Smarlingen war lange ein vergessener Ort. Die Grabsteine machten einen verwahrlosten Eindruck, viele waren nur noch bruchstückhaft vorhanden, und Wildwuchs machte sich auf der baumgesäumten Anhöhe im Land breit. Doch jetzt kehrt, so paradox es klingen mag, neues Leben auf der jüdischen Ruhestätte an der Grenze zwischen Weener und Holthusen ein. Dafür sorgen Schülerinnen und Schüler der Oberschule Weener, die mithelfen, den Friedhof wieder herzurichten. Es ist eine Mischung aus Geschichts-, Heimat- und Werkunterricht, die Vorbildcharakter hat. Und es ist auch ein kleines Zeichen der Hoffnung in den momentanen Zeiten.

Zu Beginn des Jahres wird das Projekt aus der Taufe gehoben. Den Anstoß gibt ein Gespräch zwischen Vertretern der Stadt Weener, der Oberschule und Theus Graalmann aus Bunde, der sich intensiv mit der jüdischen Geschichte im Rheiderland befasst und dem der Zustand der Stätte in Smarlingen schon lange nicht ruhen lässt. Bei dem Treffen im Rathaus entsteht die Idee, Schüler bei der Pflege und Wiederherrichtung des Friedhofs mit einzubinden und sie so mit der jüdischen Geschichte ihrer Heimat bekannt zu machen. Im Rahmen des Schul-Projektes »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage« befasst sich nun eine Arbeitsgemeinschaft mit diesem Themenkomplex.

Wertvolle inhaltliche Begleitung erfährt das Projekt durch Jona Simon, Rabbiner des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen. Er kommt in die Schule und gibt den Schülern Einblicke in den jüdischen Glauben, Sitten und Gebräuche. Am Donnerstag betreut er den Pflegeeinsatz der AG-Mitglieder in Smarlingen.

Spurensuche

Mit einer Eisenstange stochert ein Schüler im Erdreich herum. Plötzlich stößt er auf einen Widerstand im Boden. »Ich glaube, hier ist was!«, ruft er aufgeregt. Jona Simon eilt zu ihm und prüft nach. »Könnte auch eine Wurzel sein«, räumt der Rabbiner ein. Die Stelle wird mit einem Pflock markiert und soll später näher untersucht werden. Der Oldenburger war schon mehrfach in Smarlingen, um den Ort zu begutachten. Denn nach wie vor wirft der Friedhof Fragen auf. Ungeklärt ist etwa immer noch, wieviele Gräber und Grabmale hier genau waren bzw. hier noch erhalten sind.

Auf dem gesamten Gelände sind Jugendliche mit großem Eifer und Einsatz dabei, die zum Teil mit Moos überwucherten Grabsteine zu reinigen. Dank einer Spende der Ostfriesischen Volksbank habe man Bürsten und Reinigungswerkzeug anschaffen können, freut sich Schulleiter Dirk Kaiser, der an diesem Nachmittag auch mithilft. Ein Bürger hat zudem eine große Melkkanne mit Wasser bereitgestellt für die Reinigungsaktion. Unter den Händen der Schüler werden so Namen sichtbar – und damit auch Lebensläufe, von denen die Steine erzählen. Ziel des Projektes sei es auch, die Geschichten der Beigesetzten in der Schule aufzubereiten, berichtet Oberschul-Lehrerin Sabrina Koetsier.

Ort lebendiger Erinnerungskultur

Noch sind viele Hürden zu nehmen und Fragen zu klären, wie etwa die einer Zuwegung und Einzäunung. Aber es gibt Pläne, den Friedhof aus seinem Schattendasein zu holen und zu einen Ort lebendiger Erinnerungskultur zu machen. »Wir möchten Wege zwischen den Gräbern anlegen und mit einem QR-Code-Projekt über das jüdische Leben in Weener informieren«, erläutert Schulleiter Kaiser.

In Zeiten eines neuerstarkten Antisemitismus ist das Schülerprojekt ein wertvolles Fundament für Toleranz und Vielfalt. Ingrid Putzka, die sich als pensionierte Förderschullehrerin in dem Projekt engagiert, hat dazu eine berührende Beobachtung gemacht: »Hier pflegen christliche und muslimische Kinder jüdische Gräber. Das ist ein wichtiges Zeichen«, sagt sie.

Hintergrund: Friedhöfe in Smarlingen

Im Bereich Smarlingen gibt es zwei jüdische Friedhöfe. Der älteste befindet sich hinter einem Hofgebäude und wurde 1670 angelegt – nach Erlaubnis der Fürstin Christine Charlotte von Ostfriesland. Bis dato hatte die jüdische Bevölkerung ihre Verstorbenen zumeist in Emden beigesetzt. Erst kürzlich hat Rabbiner Jona Simon das zugewucherte Areal freigeschnitten – und noch zwei intakte Grabsteine (u.a. aus 1763) entdeckt. In Zusammenarbeit mit der Ostfriesischen Landschaft fand zudem eine genaue Vermessung des Landstücks statt.

Der zweite, noch sichtbare Friedhof wurde einige Meter weiter auf dem Land angelegt. Er wurde seit 1670 genutzt. Heute sind noch etwa 30 Grabsteine erhalten und dokumentiert. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Ort als Ruhestätte aufgegeben. Wie Jona Simon berichtet, musste die geplante Beerdigung einer Weeneraner Bürgerin abgesagt werden, weil der Friedhof voll belegt war. Die Verstorbene sei auf einem Acker an der Unnerlohne beigesetzt worden, wo dann ein neuer jüdischer Friedhof entstanden sei.