Holocaust-Überlebender Albrecht Weinberg sprach mit Oberschülern in Weener über sein Leben.
Albrecht Weinberg erzählt Schülern von seinen Erlebnissen, um die Erinnerung an die schrecklichen Gräueltaten der Nationalsozialisten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Von Tim Boelmann
WEENER. 116.927 – diese Zahl erinnert Albrecht Weinberg aus Rhauderfehn jeden Tag an die schlimmste Zeit seines Lebens. Im Konzentrationslager Auschwitz wurde ihm 116.927 als Häftlingsnummer auf den Arm tätowiert – an Adolf Hitlers Geburtstag. Im KZ ging es für den Ostfriesen ums nackte Überleben. »Man ist wie ein Tier geworden«, erzählt der heute 92-Jährige. Die Oberschüler des neunten und zehnten Jahrgangs hören dem Zeitzeugen in der Aula still und gebannt zu. »Über Nacht war alles anders«, sagt Albrecht Weinberg mit Blick auf die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933. Albrecht Weinberg verstand die Welt nicht mehr. Seine Familie und er waren Deutsche, nur mit jüdischem Glauben, wie er erzählt. Seine Mutter wurde in Jemgum geboren. Dochdas spielte alles keine Rolle mehr. »Die Nazis diskriminierten uns von Tag zu Tag immer mehr«, sagt er mit ruhiger Stimme. Mit der Zeit gab es immer mehr Gesetze gegen Juden, berichtet Weinberg. 1936 kam der damals Elfjährige bei Verwandten in Leer unter und besuchte die Jüdische Schule an der Ubbo-Emmius-Straße. Die Lehrer wurden später verhaftet, die Schule geschlossen. »Es wurde immer schlimmer«, sagt der Zeitzeuge. So erhielten Juden nur die Hälfte an Lebensmittelmarken. »Man wollte uns verhungern lassen«. Ab 19 Uhr durften keine Juden mehr auf den Straßen unterwegs sein. Sie mussten den Judenstern tragen. Synagogen wurden niedergebrannt – auch in Weener, nannte Weinberg einige Beispiele.
Im Jahr 1939 musste der junge Albrecht Weinberg seine Familie verlassen. Mit 13 Jahren wurde er auf einen Hof in Breslau mit 60 anderen Kinder zur Zwangsarbeit untergebracht. Nach mehreren Stationen wurde er im Alter von 18 Jahren mit über 950 weiteren Juden von Berlin-Grunewald mit in einem Viehwaggon nach Auschwitz transportiert. »Ich wusste gar nicht, was wir da sollten.« Dort angekommen wurden die Neuankömmlinge selektiert. KZ-Arzt Mengele stand an der Rampe und sortierte aus. »Wer nicht mehr arbeiten konnte, ging durch den Schornstein«, so Albrecht Weinberg. Und wenn die Öfen nicht schnell genug waren, wurden Löcher gegraben und ein Scheiterhaufen angezündet. Täglich wurden in Auschwitz 2000 Menschen getötet.
Albrecht Weinberg arbeitete in Monowitz (Auschwitz III). »Wir wurden immer und immer wieder geschlagen«, erzählt er. Nach Monaten der Zwangsarbeit sei man nur noch Haut und Knochen gewesen. Es gab nur wenig Wasser und Essen. »Es war genug zum Leben, zu wenig zum Sterben«, erinnert sich der Zeitzeuge an die Qualen im KZ. Nachdem russische Soldaten 1945 Kurs auf Auschwitz nahmen, wurde das Lager evakuiert. Nach einem »Todesmarsch« erreichte Albrecht Weinberg Gleiwitz. »Auf der Straße lagen überall Leichen«, erinnert er sich. Von dort aus führte ihn ein weiterer Marsch in den Harz, wo er Bomben fertigen musste. Endstation seines Leidensweges war das Konzentrationslager Bergen-Belsen, das im Mai 1945 von den Alliierten befreit wurde. Zurück in seine ostfriesische Heimat wollte Albrecht Weinberg nicht. Er wanderte 1947 nach Amerika aus. Mit einem kleinen Schiff ging es über den großen Teich. »Ich dachte nicht, dass wir es schaffen«. Das Wetter erschwerte die Überfahrt erheblich. Er war nicht acht, sondern 15 Tage unterwegs. In Amerika angekommen, suchte sich Albrecht Weinberg einen Job. Fündig wurde er bei einem Fleischerladen. »Ich verdiente 25 Dollar in der Woche. Davon konnte man gut leben«, erzählt der Ostfriese. Später machte sich der Rhauderfehntjer mit seinem eigenen Laden selbstständig.
Im Jahr 2012 kehrte Albrecht Weinberg aus den USA zurück nach Ostfriesland. Bis heute kann er Menschen nicht verstehen, die den Holocaust leugnen. Seine Eltern wurden 1940 von Leer nach Berlin deportiert. 1943 kamen sie in das Konzentrationslager Theresienstadt und später nach Auschwitz, wo sie vergast wurden. »Es war eine unfassbar schreckliche Zeit«, sagt Albrecht Weinberg, der heute in einem Seniorenheim in Leer wohnt und mit Vorträgen an Schulen weiter an die Verbrechen des Nationalsozialismus erinnern und mahnen will.
Die Oberschüler waren sichtlich bewegt von Weinbergs Erzählungen. »Wir danken ihnen für ihre Offenheit und dass sie über ein Thema gesprochen haben, das oft verschwiegen wird«, so die Schülerinnen Anna Fischer und Joana Ulpts zum Abschluss der Veranstaltung. Die Arbeitsgruppe »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage« hatte die Veranstaltung in der Aula vorbereitet. Zur AG gehören Ulrike Ahlers, Joana Ulpts, Maren Giese, Anna Fischer, Sonka Filz, Angelika Krawietz und Teiko Jürgens. Sie wurden unterstützt von Lehrerin Sabrina Koetsier.
Quelle: Rheiderlandzeitung vom 08.04.2017 (https://rheiderland.de/)