
Einfach dem Alltag entfliehen. Eine Woche Urlaub, keinen Stress bei der Arbeit, keine Studenten, die sich im wahrsten Sinne des Wortes im Ton verhauen – Honey Wilson aus Salem in Oregon (USA) lässt die Seele im Rheiderland baumeln – und begibt sich zugleich auf eine Spurensuche nach ihren familiären Wurzeln.
Von Jan Bruins
RHEIDERLAND. Spontanität ist die größte Stärke der 46-Jährigen aus Salem, einem Ort mit 170.000 Einwohnern, der 1975 durch Jack Nicholson in dem Film »Einer flog übers Kuckucksnest « bekannt wurde. Und spontan buchte sie einen Flug nach Amsterdam, nachdem ihr im Rheiderland versichert wurde: »Du bist herzlich willkommen.« Rund 8200 Kilometer sind es vom Westen der USA nach Weener. Trotz der Entfernung fühlt sich Honey mit dem Rheiderland verbunden. »Meine Ur-Urgroßeltern kommen alle von hier«, erzählt sie und weiß: »In Stapelmoor, Vellage, Wymeer und Kloster Dünebroek sind meine Ahnen im Stammbaum verewigt«. Da finden sich Namen wie Aeissen, Klugkist und Bakker. Bereits vor einem Jahr war Wilson für einen Tag im Rheiderland auf Spurensuche. Sie besuchte Uwe Bruins in Wymeer, der sich für die Ahnenforschung interessiert und weltweit mit Gleichgesinnten ein Hobby betreibt, das wie ein Puzzlespiel funktioniert.
Honey Wilson, sie arbeitet im Präsidentenbüro der Willamette University, beschäftige sich immer intensiver mit dem Leben im Rheiderland. Besonders der Film »Menschen zwischen Dollart und Ems« von Johann Ahrends hatte es ihr angetan. Einmal in Ditzum über die Hafenmauer gucken, einmal bei Gerta Weber in Ditzumerverlaat Schuhe kaufen – das waren plötzlich Dinge, von denen sie träumte. Die Mittagspausen in der Uni sparte sie sich auf, um dreimal in der Woche noch einmal die Schulbank zu drücken. Deutschunterricht stand dann jeweils im Terminplaner und ganz nebenbei musste der Professor diesen Film ins Englische übersetzten. Er scheiterte aber an einigen plattdeutschen Sprüchen des Postboten Jan Bruins, der in diesem Film mitspielt. Und bei diesem Postboten aus Weener saß sie jetzt eine Woche lang mit am Küchentisch. Auch Töchterchen Sanna war ebenfalls gefordert und konnte ihre Englisch-Kenntnisse für die Schule enorm aufbessern. Ihre Rundtour führte Honey Wilson auch nach Ditzumerverlaat:
»Wenn ich das heute Abend meinen Kindern erzähle«, freute sich die 87-jährige Gerta Weber über den spontanen Besuch aus den Staaten. »Bevor Sie sich aber im Laden umgucken, trinken wir erst mal eine Tasse Kaffee zusammen«. Honey Wilson war sichtlich gerührt von der Herzlichkeit der Rheiderländerin. Kurz vor den Festtagen Speckendicken und Rullekes – das gibt es nur im Rheiderland. Auch diese Traditionen wollte Honey Wilson gerne kennenlernen und nahm eine Einladung von Dieta Kaput aus Holthusen gerne an. Gemeinsam wurde gebacken und das Rezept liegt jetzt mittlerweile in den Staaten zum Nachmachen bereit. Honey Wilson wollte auch etwas zurückgeben. So gab sie eine Stunde Englischunterricht in der neunten Klasse der Oberschule in Weener. Die Schüler waren sehr interessiert. Wie feiern Sie Weihnachten? Wie lange haben Schüler in Oregon Ferien und wie denken sie über Donald Trump? Fragen über Fragen, selbst die Pausenklingel wurde ignoriert und gemeinsam mit den Schülern sang der Gast aus den USA noch ein Weihnachtslied.
Honey Wilson unterrichtet an ihrer Uni Musikstudenten. Sie ist eine gefragte Konzertpianistin und wollte eigentlich auch im Krankenhaus Rheiderland die Patienten mit weihnachtlichen Klängen überraschen. Aber einem Tag vor dem Auftritt stürzte sie schwer und besuchte zwar das Krankenhaus, aber als Patient in der Notaufnahme. Mit einer schweren Schulterverletzung trat sie vor wenigen Tagen die Heimreise an. Dem Alltag entfliehen, das wird sie in den kommenden Wochen nicht können. Das Schlüsselbein ist arg verletzt und da ist Spontanität derzeit nicht gegeben. »Ich komme wieder« versprach Honey Wilson aber und fügte hinzu: »Dann werde ich auch im Krankenhaus spielen, für die Menschen, deren Vorfahren vielleicht auch die meinen sind.«
Quelle: Rheiderlandzeitung vom 30.12.2017 (https://rheiderland.de/)